Farwiza Farhan und das Leuser Ökosystem – Web Summit 2019

Interview

Farwiza Farhan im Gespräch mit Verena Braun und Britta Muzyk-Tikovsky über das Leuser Ökosystem während Web Summit 2019

5 November 2019; Farwiza Farhan, Chairperson, HAkA, on planet:tech stage during the opening day of Web Summit 2019 at the Altice Arena in Lisbon, Portugal. Photo by Harry Murphy/Web Summit via Sportsfile

5 November 2019; Farwiza Farhan, Chairperson, HAkA, on planet:tech stage during the opening day of Web Summit 2019 at the Altice Arena in Lisbon, Portugal. Photo by Harry Murphy/Web Summit via Sportsfile

Farwiza Fahan leitet Forest, Nature and Environment Aceh (HAkA), einer Organisation, die sich für den Schutz, die Erhaltung und die Wiederherstellung des Leuser-Ökosystem auf Sumatra in Indonesien einsetzt.

Das Ökosystem umfasst etwa 2,7 Millionen Hektar Wald und ist der letzte Ort auf der Erde, an dem der Sumatra-Elefant, das Nashorn, der Tiger und der Orang-Utan noch zusammen vorkommen.

Für die dort lebenden Menschen dient er als Quelle für sauberes Wasser, als Schutz vor Erdrutschen und Überschwemmungen und als Lebensgrundlage.

Wir sprachen mit Farwiza über die Gefahren, denen der Regenwald ausgesetzt ist und wie sie und ihr Team die lokalen Gemeinden zu einer erfolgreichen und nachhaltigen Beziehung mit dem Ökosystem befähigen.

Palmöl ist einer der größten Verursacher der Abholzung des Regenwaldes auf Sumatra. Kannst du uns ein wenig mehr über die Situation im Leuser Ökosystem erzählen, mit der du es zu tun hast?

Palmöl hat in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erhalten, aber es ist komplexer, als es oft dargestellt wird. Es ist nicht so sehr das Öl – was so schlimm ist, sondern die Praxis. Es gibt einen Grund, warum Palmöl billig ist. Ein großer Teil der Kosten wird nicht vom Palmölkonzern getragen. Wenn es in Kalimantan zu Waldbränden kommt, werden Flughäfen in Sumatra und Singapur und an vielen anderen Orte lahmgelegt.

Schulen müssen geschlossen werden. Kinder infizieren sich mit Atemwegsinfektionen. Die indonesische Regierung hat derzeit mehrere Klagen gegen Palmölunternehmen, die Wälder verbrennen, angestrengt. Die Regierung macht seit 2012. Sie haben bisher eine beträchtliche Summe gewonnen, aber nur ein Bruchteil der Bußgelder wurde wirklich bezahlt.

Als Verbraucher wollen wir alle kein Palmöl von Unternehmen, die Wälder zerstören, die Kinderarbeit betreiben, die den Arbeitern keine fairen Löhne zahlen – und wir könnten diese Forderungen stellen. Engagiert euch und kontaktiert die Firmen, anstatt sie zu boykottieren.

Sagt ihnen, dass ihr als Verbraucher kein Konflikt-Palmöl wollt. Aber dann müssen wir alle im Grunde genommen unser Geld in die Hand nehmen. Wir können nicht nachhaltig zertifiziertes Palmöl fordern und gleichzeitig Produkte mit billigem Palmöl kaufen.

Wie können lokale Gemeinden an der Verringerung der billigen Palmölproduktion beteiligt werden?

Wir initiieren u.a. die Strafverfolgung gegen illegale Palmölplantagen. Denn davon gibt es eine ganze Menge. In einem Pilotprojekt haben wir 2009 gemeinsam mit Einwohnern eine Untersuchung gegen Palmölunternehmen durchgeführt, die flussaufwärts des Dorfes angesiedelt waren. Die Einheimischen identifizierten die Eigentümer und überprüften die Legalität der Genehmigungen.

Wildlife of the Leuser Eco System

Photo credit: Ulrich Muzyk

Gemeinsam mit der Polizei beschlagnahmten sie falsche Konzessionen und nahmen die Kettensäge in die Hand. Zum ersten Mal war der Klang der Kettensäge gut für den Naturschutz. Denn dadurch wurden 500 Hektar Palmölplantagen abgeholzt.

Innerhalb von zwei Wochen kamen die Elefanten zurück. Innerhalb von drei Jahren kamen die Orang-Utans zurück. In diesen Fällen war das Abholzen eine der effektivsten Methoden zur Wiederherstellung des Waldes.

Wenn wir es mit etwas problematischeren Gebieten zu tun haben, in denen es den Menschen nicht möglich ist, das Land sich aus eigener Kraft regenerieren zu lassen, schaffen wir Agroforstlösungen. Das bedeutet, dass wir mit der lokalen Bevölkerung zusammenarbeiten, um mehr Pflanzen anzubauen, die im Vergleich zu Palmöl rentabler sind.

Palmöl ist nur im großen Maßstab angebaut wirklich profitabel. Wenn du Landwirt bist und ein oder zwei Hektar besitzt, macht es Sinn, etwas anderes anzubauen. Deshalb ist die Bildung zu Finanzierung ein wichtiger Aspekt für den Naturschutz. Das wird oft übersehen. 

Ein nettes Zitat von dir ist, dass es beim Naturschutz nicht nur um die Tiere geht, sondern auch um die Menschen.

Oft werden wir darin ausgebildet, Zäune um Schutzgebiete zu errichten. Aber in den Jahren der Arbeit vor Ort habe ich gelernt, dass eine solche Art des Kolonialschutzes einfach nicht funktioniert. Die Einwohner vor Ort leben ein unsicheres Leben.

Wildlife of the Leuser Eco System in Sumatra, Indonesia

Photo credit: Ulrich Muzyk

Wenn sie kein definiertes Eigentum an dem Land haben, werden sie Entscheidungen treffen, die auf Unsicherheit basieren. Sie sind sowohl die Opfer als auch die Täter von Übergriffen und Abholzung. Wir müssen die Realität der Lebensgrundlage der Menschen verstehen.

Stellt euch vor, ihr habt zwei Hektar Land, mit denen ihr eure Familie ernähren könnt, und von einem Tag auf den anderen zerstört eine Elefantenherde eure gesamte Ernte. Ihr habt Monate, vielleicht ein ganzes Jahr investiert, um sie anzubauen, und über Nacht ist sie weg.

Würdet ihr den Elefanten lieben? Eure Kinder hungern jetzt wegen dem Elefanten.

Die Ursache des Problems ist, dass Menschen in den Korridoren für wilde Tiere eingesetzt werden. Menschen sollten nicht auf Wildtier-Korridoren sein. Und warum setzen wir Menschen dort hin?

Weil das gute Land, das sich für die Landwirtschaft eignet, an große Unternehmen vergeben wird.

Aber wenn man die Anwesenheit der Einwohner nicht anerkennt, können die Folgen verheerend sein – sowohl für die Menschen als auch für die Wildtiere. Wenn man also in dieser Realität lebt und atmet, kann man die Einwohner nicht wirklich hinausdrängen. 

Menschen und Wildtiere werden wahrscheinlich immer nahe beieinander leben. Wie kann also eine Koexistenz funktionieren?
Wildlife of the Leuser Eco System in Sumatra, Indonesia

Photo credit: Ulrich Muzyk

Entscheidend ist eine gute Entwicklungsplanung. Und es ist wichtig, dass die Menschen in die Entscheidungen über ihr Land einbezogen werden.

Die Menschen kennen und respektieren Grenzen relativ gut. Die Tierwelt sieht administrative Grenzen nicht in gleicher Weise.

Man muss herausfinden, wo die Wildtiere sind und sicherstellen, dass die Menschen nicht dorthin gebracht werden.

Dann schaut man sich das Land an und schaut sich an, wie man Infrastruktur, Wohngebiete, Industrie und Landwirtschaft gut aufteilen kann. 

Und die Menschen, die bereits in den Lebensräumen der Wildtiere leben…?

Manchmal wollen die Einwohner tatsächlich umziehen und wir ermöglichen ihnen, sich an geeigneten Orten niederzulassen. Andere leben seit Generationen in dieser Gegend und ein Umzug ist keine Option für sie. In diesen Fällen kommt die Schadensminderung ins Spiel.

Photo of Elephant by Jonny Lindner on Pixabay

Photo of Elephant by Jonny Lindner on Pixabay

Wir schauen uns an, wie die Gemeinden leben: Welche Art von Lebensgrundlage haben sie? Wie ist ihre Beziehung zum Land? Was brauchen sie, um gut zu leben?

Abhilfe schaffen könnte zum Beispiel die Wahl verschiedener Feldfrüchte, die für Wildtiere weniger attraktiv sind.

Eine Menge menschlicher Konflikte mit Elefanten werden durch die Schaffung von Pufferzonen – wie etwa durch den Anbau von Chilis und Zitronen – entschärft. Denn Elefanten mögen keine Chilis oder Zitronen.

Wenn ihr allerdings Reis anbaut, sehen die Elefanten das als einen Süßwarenladen: sie gehen einfach hin und essen alles auf (lacht). Aber das Wichtigste ist, dass die Einwohner in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden. 

Im Vergleich zu Orten wie dem Amazonas oder dem Okavango-Delta ist das Leuser Ökosystem vielen Menschen noch recht unbekannt. Wie bringst du es der Öffentlichkeit nahe?
Wildlife of the Leuser Eco System in Sumatra, Indonesia

Photo credit: Ulrich Muzyk

Zuerst einmal wollen wir die Schönheit zeigen, damit die Welt diesen ganzen Primärregenwald voller Leben, voller erstaunlicher Begegnungen sehen kann. Was wir nicht sehen, werden wir nicht lieben. Und wir werden nicht beschützen, was wir nicht lieben.

Deshalb teilen wir Informationen über unsere Plattformen, über soziale Medien. Wir arbeiten mit vielen anderen Organisationen zusammen.

Wir sind auch eine Partnerschaft mit Google Voyager eingegangen, damit die Menschen das Leuser Ökosystem virtuell besuchen und seine Tierwelt kennenlernen können. Gespräche mit der Presse führen ist wichtig.

Auf Bühnen stehen wie der „Planet Tech“ des Web Summit – der größten Technologiekonferenz der Welt, auf der Tausende von Menschen den Namen „Leuser Ecosystem“ zum ersten Mal hören. Damit die Menschen die Landschaft kennenlernen und erfahren, warum sie erstaunlich ist.

Wir versuchen, das Leuser Ökosystem so berühmt zu machen wie den Amazonas, so berühmt wie das Great Barrier Reef. 

Was kann jeder Einzelne von uns tun, um Naturschutzaktivitäten zu unterstützen?
5 November 2019; Christian KrollrnCEO, Ecosia, and Farwiza Farhan, Chairperson, HAkA, on planet:tech stage during the opening day of Web Summit 2019 at the Altice Arena in Lisbon, Portugal. Photo by Harry Murphy/Web Summit via Sportsfile

5 November 2019; Christian KrollrnCEO, Ecosia, and Farwiza Farhan, Chairperson, HAkA, on planet:tech stage during the opening day of Web Summit 2019 at the Altice Arena in Lisbon, Portugal. Photo by Harry Murphy/Web Summit via Sportsfile

Zunächst einmal ist es wichtig, sich der Situation bewusst zu sein. Dann müssen wir uns engagieren und mit den Unternehmen sprechen. Wir müssen sie dazu bringen, aktiv zu werden – sie zum Beispiel dazu zu bringen, konflikthaltiges Palmöl zu vermeiden.

Zusätzlich müssen wir Plattformen nutzen, die den Naturschutz tatsächlich unterstützen. Kürzlich sprachen wir mit „The Lion’s Share“, einer Initiative, die Tiere, die in der Werbung eines Unternehmens erscheinen, wertschätzt. Fordert eure Firma auf, sich an The Lion’s Share zu beteiligen und den Wert unserer Wildtiere zu schätzen.

Nutzt Plattformen wie Ecosia: Plattformen, die sich dafür einsetzen, eure Reisen zu neutralisieren, um unsere Welt näher an die CO2-Neutralität zu bringen.

Alles hängt davon ab, wie wir jeden Tag all diese kleinen Entscheidungen treffen, die einen Einfluss auf unsere Welt haben; ob sie gut oder schlecht sind.

Wir müssen viel bewusster die Schritte unternehmen, um Dinge zu tun, die besser für unseren Planeten sind. 

Vielen, lieben Dank Farwiza, für die Zeit, die du dir für das Gespräch mit uns genommen hast – Sumatra und ein Besuch des Leuser Ökosystems hat bereits einen festen Platz auf unserer Travel Liste!

Wildlife of the Leuser Eco System in Sumatra, Indonesia

Photo credit: Ulrich Muzyk

Interviewer
InterviewerVerena Braun
Editor
EditorBritta Muzyk-Tikovsky
2019-12-20T10:22:56+01:00

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