Industrie 4.0 im Überblick

Fachartikel

01. Mai 2014

Digitalisierung der Industrie – Chancen für Früheinsteiger

Industrie 4.0 ist ein Begriff, der innerhalb der Hightech-Strategie der Bundesregierung geformt wurde. Er bezieht sich auf eines von zehn Zukunftsprojekten, in dem die Forschung an Schlüsseltechnologien für die Digitalisierung der Industrie im Mittelpunkt steht. Durch die zunehmende Forderung nach individualisierten Produkten ist es notwendig, die Produktion flexibel und kostensparend zu gestalten. Ein wesentlicher Bestandteil hierbei ist, Werksstücke mittels integrierter Systeme, die mit ihrer Umgebung kommunizieren, intelligent zu machen. Im Gegensatz zur bisherigen eingebetteten Systemen wie beispielsweise bei Maschinensteuerungen oder Steuergeräten im Fahrzeug kommunizieren die neu entstandenen Cyber-physischen Systeme, die oft auf Alltagsgegenständen basieren, nicht nur miteinander oder im Intranet, sondern sind auch mit dem Internet verbunden. Dadurch entstehen neben der Optimierung von Prozessen über die transparenten Material- und Teilebewegungen völlig neue Arten der Produktionssteuerung.

FunktionaleEbenen_Industrie40

 

Eingebunden in das Gesamtkonzept werden die Herstellung und Logistik, aber auch die Verbindungen zu Lieferanten und Kunden. Die Bundes­ministerien für Bildung und Forschung (BMBF) und für Wirtschaft und Technologie (BMWi) koordinieren dazu ihre Förderaktivitäten. Begleitet werden diese durch die Plattform Industrie 4.0 der Verbände ZVEI, VDMA und BITKOM sowie dem Wissenschaftsbeirat. Eng verknüpft mit Industrie 4.0, das vom BMBF und BMWi verantwortet wird, ist das parallele Projekt „Internet der Dinge“. Doch die beiden Begriffe lassen sich nicht eindeutig trennen. Nimmt man die einzelnen Bauteile eines Fahrzeugs, die sich in der Produktion aufeinander abstimmen, betrifft dies eindeutig Industrie 4.0. Bezieht man den gesamten Produktlebenszyklus in die Begriffsdefinition mit ein, so zählt auch folgender Fall noch zu Industrie 4.0: Das Fahrzeug sendet nach Auslieferung an den Kunden, also während der Nutzung, Zustandsmeldungen einzelner Bauteile, z.B. zum Zweck der Wartung oder dem Tausch, an den Hersteller, bei dem darauf basierend ggf. ein Bestellprozess oder eine Designänderung ausgelöst wird. Kommuniziert das gleiche Bauteil, beispielsweise ein Steuergerät, mit der Elektronik eines zweiten Fahrzeugs oder mit der ihn umgebenden Infrastruktur, so wird das Fahrzeug zu einem Teil des Internets der Dinge.

Zusammenhaenge_IoT

 

Aktueller Stand zu Industrie 4.0 laut Verbänden

Standardisierungs-Roadmap des DKE/VDE

Die DKE Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik als Teil im DIN hat zusammen mit dem VDE (VDE|DKE) eine Roadmap erarbeitet, die bereits heute gültige Normen und Spezifikationen auflistet, sowie einen Ausblick auf den Normungsbedarf gibt. Durch die Ausstattung vieler Teilsysteme und einzelner Bauteile mit eigener Intelligenz wird die verfügbare Informationsstruktur nicht nur dezentralisiert, sondern auch mengenmäßig potenziert. Dies stellt eine enorme Herausforderung für die Steuerung der Abläufe und deren Programmierung dar. Die aktuelle Komplexität, verursacht durch die Anzahl und Granularität der Sensorinformationen ist bereits nicht mehr sicher beherrschbar und verlangt nach einem entsprechenden Ansatz. Dieser liegt in der Aufstellung von System-übergeordneten Regeln, denen die Teilsysteme innerhalb ihres Bereiches folgen und deren Auswahl sie ihrerseits durch ihre eigenen Zustandsinformation beeinflussen. Dadurch wird der Produktionsvorgang in Echtzeit gesteuert. Da der Mensch, z.B. der Produktionsarbeiter, in diesem System als „Teilsystem“ betrachtet werden muss, ergeben sich neue Anforderungen an die Mensch-Maschine-Schnittstelle. Aufgrund unterschiedlichster Datenmodelle und Schnittstellenprotokolle, die nicht mehr funktionsgetrieben, sondern produktgesteuert und flexibel eingesetzt werden müssen, wird für die Abbildung der Prozesse zwischen Menschen und Maschinen eine Service orientierte Architektur (SOA) der IT-Systeme empfohlen. Die Roadmap nennt vier Dimensionen (Produkt-, Fabrik- und Technologie-Lebenszyklus sowie Geschäftsprozesse), deren Prozesse innerhalb der Wertschöpfungskette eindeutig miteinander verbunden werden müssen. Die Herausforderungen sehen DKE/VDE in der Schaffung von sich in Echtzeit optimierenden Ad-Hoc-Netzwerken, in der Abstimmung von Geschäfts- mit technischen Prozessen und der stimmigen Entwicklung über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Zur Bewältigung dieser Aufgaben ist besonders die internationale Zusammenarbeit wichtig, bei der neben nationalen Standards eine Konsolidierung der gemeinsamen Normung gefragt ist. Experten aus Fachverbänden können hierbei hilfreich unterstützen. Generische Anwendungsfälle mit unterschiedlichen Ansprüchen hinsichtlich Qualität (Automobil, Militär) und Kosten (Consumer) sowie Referenzmodelle (Systeme, Prozesse, Funktion, Organisation, Mensch-Maschine-Schnittstelle) sollen zusammen mit einheitlichen Grundlagen (Begriffe, Modellart, Beschreibungstechnik, IT-Technologien) die Basis für die Normierung schaffen. Eine wichtige Empfehlung ist auch die Einbeziehung der jungen Generation in den Normungsprozess über entsprechende Schulungen. Detaillierte Empfehlungen sind in der Normungs-Roadmap Industrie 4.0 zu finden.

Laut VDE ist die Resonanz der deutschen Experten auf die Roadmap sehr gut. Positives Feedback kam auch vom BMBF, dem die Roadmap in einem Workshop am 18. Februar vorgestellt wurde. Um die Aktivitäten auf internationaler Ebene zu bündeln, ist die Übersetzung des Papiers ins Englische für diesen Sommer geplant. Zugleich wird an der sukzessiven Vertiefung und Weiterentwicklung der Roadmap gearbeitet. Ein gutes Zeichen für die deutsche Industrie ist, dass die von ZVEI, VDMA und BITKOM organisierte Initiative Plattform Industrie 4.0 das Papier bereits aufgegriffen hat. Eine Abstimmung zu Förderaktivitäten im Rahmen von Horizont 2020 hat noch nicht stattgefunden. Ein Zeithorizont für die Normungsvorhaben lässt sich derzeit noch nicht nennen, da zuerst die Grundsatzthemen festgelegt werden müssen. Im Bereich Funk und Automatisierung kann hier auf bestehenden Normen aufgebaut werden. Für die Weiterentwicklung der Normungsroadmap ist die Mitarbeit von Experten aus dem mittelständischen Bereich ausdrücklich gewünscht.

Normungsbedarf_Industrie40

Plattform Industrie 4.0: ZVEI, Bitkom, VDAM

ZVEI

Im Zuge der stetigen Digitalisierung sieht der ZVEI einen Schwerpunkt in der Sicherheit von Cyber-physikalischen Systemen und der IT-Infrastruktur. Die mit der Industrie 4.0 einhergehende, selbständige Kommunikation unter Maschinen, aber auch mit Teilnehmern außerhalb des Unternehmens erfordert klar strukturierte Sicherheitskonzepte, die auf die gesamte Industrie anwendbar sind. Neben der Manipulation von Systemen oder Prozessen liegt ein großes Risiko in erhöhter Wirtschaftsspionage. Der ZVEI fordert daher in einem kürzlich veröffentlichten Positionspapier verschiedene Maßnahmen von der Politik. Die Bundesregierung soll Unternehmen dabei unterstützen, das Thema Sicherheit im eigenen Hause transparenter und den Mitarbeitern bewusster zu machen. Gleichzeitig sollen besonders für Internetanwendungen wie die Cloud eigene, nationale Kommunikationswege geschaffen werden, um die Abhängigkeit und Angreifbarkeit der Daten im Ausland zu minimieren. Diese Infrastruktur muss allen Unternehmen in gleicher Weise zur Verfügung stehen. Auf europäischer Ebene wird eine Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Hand und der Wirtschaft bei der Verschlüsselung und Absicherung von Daten gefordert. Auch der Datenschutz ist ein kritisches Thema, das nach Aktualisierung verlangt. International wird insbesondere eine Zusammenarbeit gefordert, um die in Schattenbereichen des Internets gängige Praxis des Datenhandels gezielt zu bekämpfen.

Bitkom

Laut Branchenverband haben sich die Mitgliedsunternehmen ein gutes Orientierungswissen angeeignet, 700 Firmen wurden bei verschiedensten Veranstaltungen direkt erreicht. Große Unternehmen haben Kooperationen gebildet oder ein Ecosystem mit Partnern aufgebaut und erste Projekte umgesetzt.  Wichtigster Aspekt bei Industrie 4.0 ist für den Bitkom die Chance, die Unternehmen haben, um über die Digitalisierung dem Kunden neue Services anbieten zu können. Aus Sicht des Bitkom ist es sinnvoll, im ersten Schritt intelligente Produkte zu schaffen, die den Kunden mit der neuen Dienstleistung von dem Mehrwert überzeugen. Der so erzielte zusätzliche Umsatz und die Erfahrungen können wiederum in das Unternehmen zurückfließen und im zweiten Schritt die weitere Optimierung der Prozesse fördern. In vielen Unternehmen herrschen komplexe  Produktionsabläufe, deren gesamte Änderung auf längere Sicht gesehen werden muss. Die Umsetzung von Industrie 4.0-Konzepten in Teilbereichen wie z.B. der Logistik oder der Datenauswertung schafft Insellösungen, mit denen Erfahrungen aufgebaut werden können. Im internationalen Feld sieht der Bitkom die deutsche Industrie aufgrund ihrer zwei generischen Stärken, der Software für eingebettete Systeme und der Kompetenz im Maschinenbau, sehr gut aufgestellt.

VDMA

Aus Sicht des VDMA ist das Thema gut am Markt positioniert und viele Unternehmen wie beispielsweise Festo, Wittenstein, Bosch-Rexroth, Beckhoff oder Phoenix Kontakt setzen sich aktiv damit auseinander. Dies wird die Hannover Messe zeigen, auf der Firmen erste greifbare Ansätze vorstellen, die bereits in Teilprozesse integriert wurden. Eine zentrale Frage für die Mitglieder des VDMA ist, wie die Investitionskosten gedeckt werden. Ist der entstehende Zusatznutzen für den Kunden groß genug, so dass dieser den Mehrpreis bezahlt? Würden Sie einen Aufpreis akzeptieren, damit Sie wissen an welcher Station der Produktionslinie sich ihr neues Auto gerade befindet? Oder dafür, dass ein Bauteil während ihrer Autofahrten Daten an den Hersteller sendet, die ihn Rückschlüsse auf den Verschleiß und voraussichtlich benötigten Tauschzeitpunkt, aber auch über ihr Fahrverhalten, ziehen lassen? Die Standardisierung für Industrie 4.0, die zur Kostensenkung beitragen kann, sieht auch der VDMA als langfristige Initiative. Parallel dazu findet im Bereich der Forschung ein regelmäßiger Austausch zwischen der Arbeitsgruppe Forschung des VDMA mit dem wissenschaftlichen Beirat des DFKI statt.

Forschung

DFKI – Cyber-Physical Systems

Das DFKI arbeitet in den Themenbereichen Internet der Dinge und Smart Factories an unterschiedlichsten Forschungsprojekten. In der Systemforschung  für cyber-physikalische Systeme werden Methoden, Schaltkreisentwürfe und Software-Engineering, wie beispielsweise ein formeller Erstellungsprozess für voneinander abhängige Tabellenblätter, der die Richtigkeit der Daten sicherstellt, entwickelt. Auf Evaluierungsseite hat das DFKI mehrere LivingLabs eröffnet, in denen der Einsatz neuer Technologien getestet und vorgeführt wird.

DFKI – Smart Data Innovation Lab
Gründungspartner des Smart Data Innovation Lab, Karlsruhe, 08.01.2014, Fotonachweis: DFKI

Gründungspartner des Smart Data Innovation Lab, Karlsruhe, 08.01.2014, Fotonachweis: DFKI

Produktionsanlagen der Industrie 4.0 werden mit Tausenden von Sensoren ausgestattet sein, die Daten im geschätzten Mengenbereich von Petabytes liefern. Das entspricht in etwas der Menge von 10.000 Blue-Ray Discs, auf denen 100 Gigabyte gespeichert werden. Doch um der Anlagensteuerung die notwendige Intelligenz zu verleihen, müssen die Daten nutzbringend und in Echtzeit ausgewertet und in das System zurückgeführt werden. Dadurch können Potenziale sichtbar gemacht werden, die Firmen wiederum einen Wettbewerbsvorteil bieten.  Die intelligente Auswertung von „Big Data“ ist eine Aufgabe, dem sich das DFKI in seiner jetzt gestartete Forschungsplattform Smart Data Innovation Lab (SDIL) widmet. Die Plattform wurde vom DFKI gemeinsam mit der Fraunhofer-Gesellschaft und dem Forschungszentrum Jülich sowie Partnern aus der Industrie (Bayer, Bosch, Microsoft Deutschland, SAP, Siemens und die Software AG) gegründet.

Prof. Dr. Wolfgang Wahlster, DFKI, Prof. Dr. Paul Lukowicz, DFKI, mit Gründungsurkunde Smart Data Innovation Lab, Karlsruhe, 08.01.2014, Fotonachweis: DFKI

Prof. Dr. Wolfgang Wahlster, DFKI, Prof. Dr. Paul Lukowicz, DFKI, mit Gründungsurkunde Smart Data Innovation Lab, Karlsruhe, 08.01.2014, Fotonachweis: DFKI

Betrieben wird das SDIL vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Mehr als 20 weitere Branchengrößen, darunter Infineon, Trumpf und Volkswagen sowie der Branchenverband Bitkom und die Deutsche Gesellschaft für Informatik (GI) unterstützen das Vorhaben bereits. Wichtig ist den Akteuren aber auch die Teilnahme von KMUs an den Projekten.

 „Smart Data werden zur vorausschauenden Wartung, zur Effizienzoptimierung sowie zur Erreichung des optimalen Betriebspunktes genutzt werden. Das spart bis zu 30% Material, Energie, Kosten und Arbeitsaufwand und schont die Umwelt“, erklärte Prof. Wolfgang Wahlster, CEO des DFKI zur Eröffnung im Rahmen der Paneldiskussion mit
 Jim Hagemann Snabe, Co-CEO SAP AG, Karl-Heinz Streibich, CEO Software AG, Dr. Wolfgang Heuring, Siemens AG und
Prof. Wilfried Juling, KIT.

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Crowd Monitoring beim „Zürifescht“ 2013, Fotonachweis: DFKI

Während der Eröffnung des SDIL zeigte zeigte Prof. Dr. Paul Lukowicz, Bereichsleiter der Forschung für Eingebettete Intelligenz am DFKI, anhand konkreter Beispiele, nämlich die über Mobilfunksignale ermittelte Besucherdichte und die Besucherbewegungen des Zürifäscht 2013, anschaulich wie die intelligente Auswertung großer Datenmengen zusätzliche Sicherheit bei Notfällen bietet. Sein Team konnte dabei auf Erfahrungen aus erfolgreichen Vorgängerprojekten unter dem Begriff „Crowd Sensing“ wie den Olympischen Spielen in London  oder dem Wien Marathon zurückgreifen. Ein besonderer Fokus wird aktuell auf die Bildung von Ad-hoc-Netzwerken gelegt, um im Notfall auch bei Zusammenbruch des Mobilfunknetzes ein Krisenmanagement zu gewährleisten. Im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaft soll bereits auf erste Ergebnisse zurückgegriffen werden können, die dann auch eine Auswertung der Daten nach dem Event ermöglichen.

Aktueller Standpunkt der Bundesregierung

Der Querschnittsbereich Industrie 4.0 wird von der neuen Regierung ebenfalls als Fokusbereich gesehen. Das Ziel bleibt weiterhin, die Fortsetzung der Technologieführerschaft des deutschen Maschinenbaus durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien zu gewährleisten und die zugehörigen Fachkompetenzen in Deutschland zu halten. Hierbei werden nicht nur geschlossene Systeme unterstützt, sondern auch Open-Source-Lösungen gefördert. Die Zusammenarbeit beider Systeme soll über Standards gewährleistet werden und somit den Erfolg am Markt garantieren. „Software made in Germany“ soll sich im globalen Wettbewerb besonders durch Datensicherheit und eine benutzerfreundliche Handhabung auszeichnen. Als wichtige Schlüsseltechnologien werden die Bereiche IT-Sicherheit, Netzwerktechnik, Embedded Systems, Prozess- und Unternehmenssoftware, Kryptographie sowie Machine-to-Machine-Kommunikation gesehen.

Europäische Aktivitäten auf Bundesebene

Horizont 2020

Die europäische Initiative Horizon 2020 ist das weltweit größte, in sich geschlossene Forschungs- und Innovationsprogramm, welches bisherige Förderprogramme in der Forschung bündelt und ganz gezielt auf die Verbindung von Wissenschaft, Forschung und die nahtlose Umsetzung der Ergebnisse in der Wirtschaft abzielt. Zwischen 2014 bis2020 soll europaweit ein Fördervolumen von 77 Mrd. Euro bereitstehen. Bundesforschungsministerin Wanka rechnet damit, dass Projekte an deutschen Hochschulen, Forschungseinrichtungen und in Unternehmen insgesamt jährlich mit bis zu 1,5 Milliarden Euro aus Brüssel unterstützt werden.

„Horizont 2020 ermöglicht uns einen zusätzlichen Investitionsschub über Ländergrenzen hinweg. Es bedeutet Fortschritt und Entwicklung für Europa. Wir haben die Chance, die Zukunft Europas gemeinsam zu gestalten und die Lebensqualität der Menschen entscheidend zu verbessern“, so Bundesforschungsministerin Wanka in der Pressemitteilung zur Initiative.

Die deutsche Ableitung Horizont 2020 teilt sich in die drei Schwerpunkte Wissensschaftsexzellenz, Führende Rolle der Industrie und Gesellschaftliche Herausforderungen auf. Im zweiten Schwerpunkt werden gezielt Projekte zur industriellen Forschung gefördert. Dazu gehören drei Bereiche:

  • Grundlegende Technologien: Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), Nanotechnologien, fortgeschrittene Werkstoffe, Biotechnologie, fortgeschrittene Fertigung und Verarbeitung und Raumfahrt.
  • Finanzierung hochriskanter Projekte
  • Projekte kleiner und mittelständischer Unternehmen

Im Bereich „Fortgeschrittene Fertigung und Verarbeitung“ werden neben entsprechenden Technologien für die diskrete Produktion verstärkt Themen rund um energieeffiziente Gebäude und den nachhaltigen Umgang mit Rohstoffen über entsprechende Kreisläufe und Prozesse adressiert.

Zusätzlich gibt es im Europäisches Institut für Innovation und Technologie mehrere sogenannte „Wissens- und Innovationsgemeinschaften“ (Knowledge and Innovation Communities). Diese KICs widmen sich über mehrere Jahre der Aufgabe, in den Bereichen Nachhaltige Energie, Klimawandel und ITK die Wissenslücke zwischen Forschung, Bildung und Wirtschaft zu schließen.  Im Bereich IKT entstand so das EIT ICT Lab, das aktuell diese Kernthemen bearbeitet:

  • Intelligente Vernetzung von Gebäuden, Dingen und Menschen an öffentlichen Orten (Smart Spaces)
  • Bereitstellung von dezentralisierten und nutzerfokussierten IKT-Systemen im Energiebereich (Smart Energy Systems)
  • Bereitstellung von IKT-basierten Tools zur Erhaltung und Förderung eines gesunden Lebensstils (Health & Wellbeing)
  • Intelligente Städte und Lebensräume (Urban Life and Mobility)
  • IKT Lösungen um Schutz der Privatsphäre des Einzelnen zu schützen (Privacy, Security, Trust)
  • Lösungen für energiearmen und effizienten Datenverkehr (Future Networking Solutions)
  • Lösungen für Echtzeit-Bereitstellung und Verarbeitung von Daten in der Cloud (Future Clouds)
  • Sensorbasierte und eingebettete Lösungen für die Verbindung von physischen mit datenbasierten Systemen (Cyber-Physical Systems – CPS)

Seit 2014 ist das Europäische Institut für Innovation und Technologie ein eigenständiger Teil von Horizont 2020. Für die Laufzeit von Horizont 2020 sind 2,7 Milliarden Euro für das EIT vorgesehen, davon 2,5 Milliarden Euro für sämtliche KICs.“

Marktüberblick

Bei der Schätzung des Marktpotenzials wird international vom Internet der Dinge gesprochen, da als Basis die vernetzten und ans Internet angebundenen Geräte herangezogen werden. Der McKinsey Studie “Disruptive technologies” zufolge wird in den nächsten zehn Jahren die Zahl der miteinander verbundenen Geräte von heute neun Milliarden auf mindestens 50 Milliarden Geräte anwachsen. Optimisten mit einer Glaskugel wagen sogar eine Prognose von einer Billion Geräten. Dem Bericht nach wird das Marktpotenzial für Firmen im Jahr 2025 zwischen 2,7 und 6,2 Billion Dollar (1,9-4,5 Billion Euro) geschätzt. Schwerpunktmäßig werden dabei die Bereiche Gesundheitswesen, Infrastruktur und der öffentliche Sektor gesehen. Die Analysten bei Gartner sind etwas konservativer und wagen in ihrem Ausblick für 2020 eine Prognose von 26 Milliarden vernetzten Dingen, die bei  Herstellern von IoT Produkten und Dienstleistungen für einen Umsatz von 300 Milliarden Dollar sorgen. Darauf aufbauend ergibt sich bei Gartner ein weltweites Umsatzpotenzial  auf verschiedensten Märkten von 1,9 Billionen Dollar. Berater der Firma Cisco sprechen sogar von einem Internet von Allem (IoE). Der Branchenprimus in Sachen Netzwerke sieht allein für den öffentlichen Sektor ein Geschäftsvolumen von 4,6 Billionen Dollar bis zum Jahr 2022, das über Kosteneinsparungen, Produktivitätssteigerung und neue Umsätze erzielt wird.

Während sich Analysten und große Firmen mit den Schätzungen des Marktpotenzials überschlagen, bleiben zwei wichtige Punkte offen: Die Finanzierung und das Eigentum der Daten

Die Finanzierung der intelligenten Fertigung werden Hersteller selbst vornehmen und die Investition nach Abzug möglicher Fördergelder dem zu erwartenden Umsatzwachstum (erweiterter Kundennutzen bedingt höheren Produktpreis oder größere Anzahl Kunden) gegenüberstellen müssen. Doch sobald  die Grenze von Industrie 4.0 zum Internet der Dinge verschwimmt und Bereiche des öffentlichen Lebens tangiert sind, wird es schwieriger. Wer finanziert das Internet von Allem? Aktuell werden in der Branche drei Möglichkeiten diskutiert. Die von der EU aus Steuergeldern finanzierte Initiative Horizon 2020 ist eine wichtige Maßnahme, um Europa gegenüber den USA als Innovationstreiber zu positionieren. Bei Private-Public-Partnerships ist zu klären, welche Firmen aus der Industrie als private Partner in Frage kommen. Sind es die großen Netzbetreiber, die über die Datenleitungen herrschen und damit die Grundlage für die Kommunikation mit dem Internet bilden? Sind es Systemintegratoren, die ihr Wissen und ihre Erfahrung Betreiber- und Herstellerunabhängig in ausgewählte Projekte einbringen können? Oder sind es doch die IT-Firmen, die sowohl die notwendigen Hardware-Systeme als auch die für die Auswertung der Daten benötigten Software-Tools beisteuern? Ganz nach dem Motto: Content is king – ohne Daten kann man nur raten? In jedem Fall wird die Rendite einer solchen Finanzbeteiligung derzeit über die Rückzahlung von zu erwartenden Kosteneinsparungen berechnet. Dafür benötigen Firmen einen langen Atem. Eine dritte Möglichkeit steht mit dem im Consumerbereich zunehmend genützten Crowdfunding auf Plattformen wie Indiegogo oder Kickstarter zur Verfügung. Die Finanzierung über private Geldgeber bietet sich speziell für abgrenzbare Projekte und neue Produkte an. So wurde beispielsweise ein medizinischer Vitalwertscanner erfolgreich finanziert, der die gemessenen Sensordaten an eine App im Smartphone zur Auswertung schickt. Aber auch neue Anwendungen wie der 3D-Druck werden so mit dem nötigen Startkapital versorgt, wie man bei den Projekten RigidBot (>€800.000), The Buccaneer (>€1.000.000) und dem 3Doodler (>€1.800.000) besonders gut erkennen kann. Im Bereich Landwirtschaft/Gartenanbau wurde erst kürzlich das Projekt „HarvestGeek“ finanziert, das je nach Ausbaustufe die autonome Regelung eines Gewächshauses übernehmen kann. Auch die Automobilindustrie bekommt mit WLAN-basierten OBD-Adaptern starke Konkurrenz im Bereich Telematic und Aftermarket-Services. Interessant ist auch das mit rund €50.000 finanzierte „Smart Citizen Kit“, das über eine weitreichende Verteilung den Aufbau einer weltweiten Datenbank der Umweltbedingungen erreichen möchte. Gemessen werden Werte wie Luftzusammensetzung, Temperatur, Helligkeit, Geräusche und Luftfeuchtigkeit, die über WLAN an die Datenbank in der Cloud geschickt werden und über ein Webinterface sowie eine App visualisiert werden.

Eine weitere zentrale Frage ist die des Eigentums. Jedes über das Internet verbundene Gerät produziert Daten. Doch wem gehören diese Daten? Nicht immer ist eine Abgrenzung möglich. In der Fertigung gesammelte Daten sind relativ einfach dem Hersteller zuordenbar. Was ist jedoch mit nutzerbasierten Daten, die das Produkt, zu diesem Zeitpunkt Eigentum des Kunden, sammelt und zur Auswertung an den Hersteller schickt, damit dieser dem Kunden neue, kostenpflichtige Dienste zur Verfügung stellen kann? Zumindest im öffentlichen Bereich will das vom Bundesministerium des Innern mit dem Open-Data-Portal „Govdata“, über das die Verwaltungsdaten herausgegeben werden, Transparenz schaffen. Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland jedoch bei dem Umfang der Offenlegung selbst China hinterher.

Herausforderung und Empfehlung

Die Themen von Industrie 4.0 betreffen zu einem Großteil drei Branchen, die sich jedoch in Vorgehensweise, Entwicklungszeiträumen und Produktlebenszyklen stark unterscheiden.

Herausforderung_Industrie40

Wie lassen sich diese Gegensätze reduzieren oder sogar zum gegenseitigen Nutzen anwenden? Ein Lösungsansatz sind Kooperationen, bei denen alle Partner von der Erfahrung der jeweils anderen profitieren können. Große Konzerne arbeiten oft an sogenannten PoCs (Proof of Concept), bevor konkrete Produkte entwickelt werden. Darin liegen Chancen für mittelständische Firmen, sich mit ergänzendem Fachwissen einzubringen und von der Infrastruktur der Großen zu profitieren.  Erst vor kurzem hat die Firma Cisco bekannt gegeben, dass in ihrer Kriegskasse 100 Millionen Dollar für Investition in IoT-Start-ups reserviert sind. Branchenverbände wie der Bitkom, die sich die Förderung von KMUs auf die Fahne geschrieben haben, können und müssen beim Wort genommen werden, um Kontakte zu vermitteln oder Firmen in bestehende Arbeitskreise miteinzubeziehen. Das Angebot des DFKI, verstärkt mittelständischen Firmen den Zugang zu dem Smart Data Living Lab zu geben, sollte guten Gewissens angenommen werden.  Schaden kann es auch nicht, die Aussage von Jim Hagemann Snabe, Co-CEO der SAP AG, während der Eröffnung des SDIL ernst zu nehmen. Er sieht eine seiner Aufgaben darin, die Netzwerke in Richtung kleiner Unternehmen zu erweitern und diese Firmen aktiv zu unterstützen.

Neben dem Aufbau einer Wissensbasis und Kooperationen ist jetzt ebenfalls ein guter Zeitpunkt, eigene Projektideen mit Fördermitteln zu realisieren. Das ist die Chance, bei der Entwicklung von neuen Umsatzpotenzialen über die Digitalisierung vorne dabei zu sein. Im Rahmen der Hightech Strategie des Bundes erhalten Firmen rund um „Forschung und Innovation“ die Förderberatung direkt vom Projektträger – dem Forschungszentrum Jülich in Berlin. Auch das Programm Horizont 2020 richtet seine Förderung gezielt an kleine Firmen und aus dem mittelständischen Bereich. Beratung für die Antragsstellung sowie begleitende Unterstützung während der Projektdauer finden Unternehmen im Netzwerk der nationalen Kontaktstellen.

KMUs die verstärkt an Forschungsprojekten arbeiten finden beim BMBF Unterstützung über eine Reihe von Fachprogrammen im Rahmen der Förderinitiative KMU-innovativ. Das BMWi bietet dem Mittelstand das Basisprogramm Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) für eine auf den jeweiligen Markt ausgerichtete Technologieförderung. Zusätzlich können Unternehmen mit vom BMWi finanzierten Innovationsgutscheinen (go-inno) auf externe Beratungsleistungen, insbesondere zur Erkennung von Innovationspotenzialen oder der Optimierung von Material- und Rohstoffmengen, zurückgreifen. Unternehmen, die im Bereich der IT-Sicherheit Förderung suchen, können sich direkt an die Task Force des BMWi in Bonn wenden.

Ein mutmachendes Beispiel für eine vom BMWi geförderte Zusammenarbeit zwischen der Forschung (DFKI) und einem mittelständischen Unternehmen ist das Projekt zur Transportlogistik mit Landmaschinen der Firma Claas. Hierbei wurden Mähdrescher und Traktoren, die das Korn transportieren, mit Sensoren ausgestattet. Die Daten der Sensoren wurden sekündlich über ein LTE-Netz der Telekom zur Auswertung an einen Server geschickt. Die Daten wurden von einem Planungsprogramm, das von DFKI Forschern in dem Robotics Innovation Center in Bremen und der Außenstelle an der Universität Osnabrück entwickelt wurde, ausgewertet. Anhand der Ergebnisse wurde der beste Zeitpunkt ermittelt, um den Traktor zur Kornübernahme zum Mähdrescher zu schicken und so Leerlaufzeiten zu vermeiden.

Dieser Artikel wurde auch im Magazin ke-next (verlag moderne industrie – Mediengruppe des Süddeutschen Verlag) veröffentlicht.

Autor
AutorBritta Muzyk
2020-02-14T17:12:04+01:00

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